Sukâfeysu
| Thema: Sukâfeysu Mi Mai 22, 2013 2:03 am | |
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......GESCHLECHT rüde ......ALTER 5 Jahre......TITEL narbengesicht DER WOLF OHNE GESICHT
Auch wenn man es schwer nur glauben kann, es ist tatsaechlich ein Wolf, von dem ich spreche. Ein vierbeiniger Wilder mit rauem Pelz, durchzogen von den Farben des Waldes. Helles Braun, verziert mit grauen Zeichnungen an Ruecken und im Halsbereich. Es ist wirr, es ist hier und dort etwas verfilzt, aber es stinkt nicht. So schmutzig es auch aussehen mag, so verkommen und verlassen, es stinkt nicht. Lediglich der herbe Duft des Rüden hängt daran, abgeschwächt durch die Frische von grünem Moos, die Süße von blühenden Knospen und die Schärfe frischen Blutes. Es ist der Geruch, der für Sukâfeysu entscheidend ist, um sein Spiegelbild scherrt er sich kaum, so weiß er von diesem nur, das es kein schönes ist. Er ist nicht der riesenhafte Hüne, den man sich an seiner Seite wünscht, mit dem man stolz und selbstsicher durch die Berge streift. Nein, er ist der, den man meidet. Angefangen bei dem schmächtigen Körperbau, der nicht gerade von unbändigen Kräften spricht. Schmale Schultern, getragen von kurzen Beinen. Nur 67 cm misst der Rüde. Die heraus ragenden Knochen als Stütze der aufgerissenen Haut. Das Haarkleid zerfetzt, das Haupt zu Boden gesenkt, der Schwanz voller Demut zwischen den Hinterläufen verborgen. Er ist ohnehin kein ahnsehnlicher Kerl, doch nur sein Körper allein ist es nicht, der ihn von anderen Wölfen fern hält. Es ist das, was er niemals mehr haben wird, die, von deren atemberaubenden Leuchten ich nicht in farbenfrohen Metaphern sprechen kann. Sein Gesicht, seine Augen. Eine wilde Kritzelei nur noch, ein Wolfsschädel gekleidet in einen Flickenpelz. Verblasste Narben schimmern erloschen auf der Haut, dicke Gewülste ziehen sich wie Strömung quer über sein Haupt, von Nase bis Auge, von Auge bis Ohr. Wunden, die zu tief waren, als dass sie hätten verheilen können, als dass sie hätten verblassen und erlöschen können. Wie eine Maske schaut das Werk aus, eine Maske aus Narben. Dicke, dünner, lange, kurze. Nur schwer sind seine Gesichtszüge zu erkennen. Schaurig mag diese Gestalt auf viele wirken, sind es doch die Augen, die den Spiegel zur Seele darstellen. Verschlossen ist der Weg zu Sukâfeysu. Zurück bleibt die Frage, ob man diesen Wolf, diesen Wolf ohne Gesicht, noch als einen lebenden Wolf bezeichnen kann. MASKENTRÄGER
Sukâfeysu zu beschreiben ist schwer. Keiner kann genau sagen, wer er ist, was sich hinter dem vernarbten Gewebe verbirgt. Ich kann es versuchen, gewiss, aber du wirst merken, dass ich an meine Grenzen stoße. Selbst daran zu denken, welche Komplexität sein Wesen zeichnet, bereitet einem Kopfschmerzen. Er scheint so einfach, so leblos, als würde er nur Befehle und Instinkte ausführen. Gedankenlos, willenlos. Als würde er nur vor sich hin leben, so wirkt er auf andere. Leer. Wie ein Geist. Wie kein Wolf mehr. Der ein oder andere mag den Kopf schief legen, mag sich fragen, was es ist, was dieses Wesen denn in sich trägt. Eine Seele? Das weiß ich nicht. Sein Selbstbewusstsein ist jedenfalls keines, das strahlt und glänzt. Im Gegenteil. Verkümmert und in sich zusammen gefallen kauert es in den tiefsten Ecken seines Geistes, wie eine vertrocknete Blume. Der Rüde ist zurückhaltend, er ist schüchtern und schreckhaft. Er hält sich eben in seinem Winkel. Mit Missmut kann man das aber nicht gleich setzen. Die Angst liegt tiefer, sie ist vernetzt mit seinem ganzen Sein. Noch nie war er jemand, auf den viel Wert gelegt wurde. Er hat es eben nicht gelernt, auf sich selber zu achten, das Ich anzuerkennen. Er ist bedürfnislos, könnte man meinen. Alles andere als egoistisch. Für ihn steht der andere im Vordergrund, nicht etwa aus fürsorglichen Gründen, auch wenn man das schnell meinen mag. Schon immer hat er so gehandelt, hat sich versteckt, bis man ihn nicht mehr beachtete, voller Demut, voller Unterwürfigkeit. Aufopfernd macht ihn diese Seite seines Charakters, aber nicht zu einem Helden. Ein Held wird er nie werden. Dazu fehlt ihm nicht nur der Mut, sondern auch das Herz. Wobei, er hat ein Herz. Wie jeder andere Wolf auch eines hat. Doch Sukâfeysu ist unnahbar. Es ist ihm kaum möglich, eine Beziehung zu Außenstehenden aufzubauen. So verschlossen lebt er, so einsam, dass es ihm nie abverlangt wurde, Mitleid zu empfinden, Zuneigung zu empfinden, sich offen und warm zu zeigen. Mit großer Distanz begibt er sich in die Nähe von Artgenossen, stets versteckt in der alles umfassenden Dunkelheit. Den Umgang mit ihnen hat er nie gelernt. Empathie ist für ihn schwer nachzuvollziehen, hat er diese doch nie gelernt zu empfinden. So mag er einigen als kühl erscheinen, doch auch das trifft nicht genau auf ihn zu. Er ist ein aufrichtiger Wolf, es liegt nicht in seiner Natur, jemandem etwas böses zu tun, im Gegenteil. Sukâfeysu kann hilfsbereit sein, er kann aufmerksam sein, zuhören, wenn jemand in Not ist. Ein Urteil fällt er nur selten, zwar hat er seine Meinung, doch geht diese in seiner schweigsamen Art zumeist verloren. Ein Held der Worte ist der Rüde keines Weges, doch wenn er etwas sagt, dann sagt er es direkt, ohne Umschweifungen. Seine Worte könnten verletzlich sein, wäre jemand da, den sie treffen könnten. So ist er auch kein besonders nachtragender Geselle. Den Spott, den er hat über sich ergehen lassen, die Zurückweisungen, die hat er erfolgreich verschluckt. Aus ihnen hat sich sein selbstkritisches und selbst-zweifelndes Denken entwickelt, das jedoch kaum an die Oberfläche gelangt. Auch wenn er unerschüttlich und unerreichbar scheint, er ist verletzlich. Sein Herz kann bluten. Doch seine Gefühle sind teilweise dermaßen abgestumpft, dass er selber nicht mehr weiß, was wahr und was falsch ist. Weltfremd mag man das nehmen, ein leben in dem eigenen, vom zerrissenen Verstand erschaffenen Traumland, wo es nur Laute gibt, Gerüche und Geschmäcker. Er ist unentschlossen, in sich drin ist er unruhig, er ist ein Chaos. Durcheinander, verwirrt, ohne jegliches Gleichgewicht. Und wieder ein Grund für seine Unsicherheit, ein Grund dafür, weshalb er sich dermaßen schreckhaft durch diese Welt bewegt. Gleichermaßen macht es ihn naiv. Er ist lernfähig, auch wenn man es ihm kaum ansieht, so setzt er doch behutsam einen Schritt vor den anderen, bedacht. Er nimmt Informationen auf, schnell und raffiniert setzt er sie zusammen zu einem großen Gebilde. Trotzdem ist sein Glaube an Gut und Böse verzerrt, er kann sein Gegenüber nicht durchschauen, er grenzt sich ab, doch sollte es jemand schaffen, sich seinen Weg zu ihm durch zu bahnen, so wäre es ein leichtes, ihm irgendwelche Flausen in den Kopf zu setzen. Man mag meinen, ein Wolf diesen Alters sei bereits klug und weise, doch Sukâfeysus Fass ist so gut wie leer. Auch wenn ich es nur ungern zugebe, aber der Rüde ist leicht ausnutzbar. Nur gibt es niemanden, der sich dies zu nutze machen möchte, niemand der das überhaupt bemerkt. Unscheinbar, wie der vernarbte Wolf sich durch den Wald bewegt, angsteinflößend und einschüchternd, obwohl er es ist, der kleinlaut und ergeben den hageren Körper zu Boden senkt. UND ERLOSCHENES LICHT
Seine Geschichte begann wie jede andere auch. Zwei junge Wölfe fanden sich, beide den naiven Wunsch in ihren Köpfen, einmal an der Spitze eines Rudels zu laufen. Doch sie waren gierig, sie waren ungütig, sie sahen sich als Herrscher. So ließen sie sich in einem Revier nieder, in dem es noch wild war, in dem die Unordnung noch alles durchzog. Und als der Frühling kam, da gebar Oshoé ihren ersten Wurf, während Abaki sich auf machte, das Revier zu durchstreifen. Vier Welpen waren es, zwei Fähen und zwei Rüden, allesamt winzig klein und verletzlich. Erst mit den Tagen, die vergingen, machten sich die Unterschiede bemerkbar. Eine der Fähen starb sehr bald, während die anderen weiter wuchsen, der ein schneller als der andere, der eine zielstrebiger als der andere, der eine war mutig, der andere fürchtete sich. Den, der versprach, einmal ein stämmiger Rüde zu werden, den tauften sie Katép. Sein Pelz war von einem dunklen, rostigen Braun mit schwarzen Zeichnungen. Seit dem Tag, an dem er die Augen aufschlug, war sein Blick entschlossen. Er würde wie sein Vater werden. Abaki war stolz auf den Sohn. Die Fähe entwickelte sich zu einer schlanken und langbeinigen Jungwölfen, die sich agil und flink bewegen konnte. Wie auch ihr Bruder trug Usufi ein rostbraunes Fellkleid. Nur Sukâfeysu bekam seinen Namen noch nicht. Keiner der Eltern glaubte daran, dass er es schaffen würde, dass er stark genug war, um zu überleben. Er war klein, dünn, schwach und ängstlich. Niemals könnte so ein Wolf Teil des Rudels werden, nicht diesen Rudels. Doch der Jungwolf, der so gar nicht aussah wie seine Geschwister, starb nicht. Er klammerte sich nicht ans Leben, das Leben klammerte sich an ihn. Fest saß es ihm in den Nacken und stemmte sich dagegen, ihn los zu lassen. So würde er größer, doch einen Namen, den gab man ihm nicht. Die Anerkennung, die seinen Geschwistern geschenkt wurde, bleib bei ihm aus. Wenn die Wölfe fraßen versteckte er sich, wagte es nicht, ihnen in die Quere zu kommen, dem tiefen Knurren von Bruder und Vater, dem schaltenden Blick von Schwester und Mutter. Er wartete, wartete darauf, die Knochen abnagen zu können. Sukâfeysu war nie ein vollwertiges Mitglied des Rudels. Er war ein Anhängsel, er war seine tote Schwester, deren Geist der Familie nach schwebte. Doch es kam der Tag, an dem die Jungwölfe ausgewachsen waren, ein Tag im Herbst, ein Tag mit orangenen Blättern, mit halbnackten Bäumen und kalten Winden. An diesem Tag, da sprach Abaki mit seinem Sohn, dem Sohn, den er nie beachtet hatte. Den Sohn, der zu schwach war für sein Rudel, der es nicht wert war, seinem Rudel anzugehören. Auf einem Spaziergang versuchte der Leitwolf, es dem Sohn zu erklären. Er versuchte ihm zu zeigen, dass nur die Starken eine Überlebenschance hatten, er teilte ihm seinen Standpunkt mit, ohne dass der Sohn widersprach. Und als Abaki geendet hatte, da trat der beißende Geruch schon bedrohlich nah an ihre Nasen ran. Nie wird Sukâfeysu den Blick vergessen, den festen Blick seines Vaters, der ihn zwang, weiter zu laufen, den Berglöwen in die Pfoten zu fallen, zu beweisen, dass er es doch kann, dass er das Rudel verteidigen kann. Aber der Jungwolf konnte es nicht. Die scharfen Krallen kannten keine Gnade, sie rissen ihm Hautfetzen für Hautfetzen vom Leib, sie nahmen ihn auseinander, sie zerfetzten ihn. Seine Hilferufe waren zwecklos. Es interessierte den Vater nicht mehr, was nun geschah. Er stand nur da und betrachtete das Spektakel, desinteressiert, als würde man ein Reh vor seinen Augen reißen. Als wäre es etwas ganz natürliches. Erst, als Sukâfeysu floh, als er davon humpelte, blind, mit Blut überströmt, da regte sich Abaki. Er lockerte die müde gewordenen Muskeln, gab ein drohendes Knurren von sich, und verschwand im Dickicht. Als er zurück kehrte, da fragte niemand nach dem verlorenen Wolf, da wunderte sich niemand, weshalb man alleine zurück kehrte. Er würde sterben, dieses Mal würde er ganz sicher sterben. Aber das tat er nicht. Er legte sich nieder, in einer Höhle, einem Versteck und schlief. Er schlief solange, bis ihm die Haut schlaff den Körper herab hing, bis jeder Knochen darunter hervor ragte, bis die Wunden zu Narben verkrustet waren, das Fell büschelweise nachgewachsen. Das Sonnenlicht hatte er auf ewig verloren. Sein Gesicht. Aber das wusste er nicht. Das konnte er nun nicht mehr sehen. Er spürte nur, wie schwer es geworden war, wie schwer es war, die kleinen Muskeln zu bewegen, die sich zuvor vor Glück gehoben oder vor Trauer gesenkt hatten. Beute fangen konnte er nicht. Also lief er zurück. Zurück zu seiner Familie. Es gab keinen anderen Ort, an den er konnte, keinen anderen Weg, den er kannte. Doch das Rudel erkannte den Rüden nicht mehr. Mutter, Vater, Bruder und Schwester, sie schimpften ihn einen Raben, ein Ungeheur, sie wollten ihn fort haben. Aber Sukâfeysu blieb. Er blieb und folgte ihnen. Stumm, im geheimen, aß ihre Reste. Wie früher. Es war alles wie früher. Bis der Frühling sein Ende einläutete und der Sommer sich zeigte. Usufi und Katép fingen den verunstalteten Wolf ab, sie umkreisten ihn, verspotteten ihn. Dann stürzten sie sich auf ihn. Sie zogen und zerrten an seiner Haut, rammten ihre kräftigen Körper gegen seinen, bis er stürzte. Er solle nie wieder kommen, solle verschwinden. Er hätte schon damals verschwinden sollen, er hätte mit seiner schwachen Schwester gehen sollen, sagten sie ihm. Es blieb dem Rüden nichts als laufen. Lange Zeit lief er nur, immer geradeaus, manchmal tagelang. Er lernte, mit seiner Behinderung umzugehen, lernte Hasen zu jagen, verletzte Rehe. Sein Geruchssinn wurde schärfer, seine Ohren empfindlicher. In dieser Zeit erhielt er seinen Namen. Narbengesicht nannten die Wölfe ihn, die ihn sahen, sie fürchteten ihn und er fürchtete sie. Sie mieden ihn und er mied sie. Aber man kannte den Wolf ohne Gesicht, man sah ihn manchmal durch das Unterholz schweben, er war nur klein und dünn, aber er war da. Sukâfeysu. Obwohl er sich über die Bedeutung bewusst war, behielt er diesen Namen, er hatte es nicht anders verdient, sagte er sich. Es gab Rudel, die akzeptierten seine Folgschaft, wenn er ihnen nicht zu nah kam. Es gab Jungtieren, die machten sich einen Spaß daraus, ihn zu verspotten oder ihm im Schlaf verrottetes Fleisch vor die Pfoten zu werfen. Andere hatten schreckliche Angst, einige sagten Dämon, einige Ungeheuer. Aber er wehrte sich nie, er wurde nie aufmüpfig. Manchmal wartete er auf den Tod, aber der tot kam nicht. Er kam nie.
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